Das Burgenland vond der Grenzregion in die Mitte Europas


Wie ticken die Bundesländer? Diesmal das Burgenland, das vom „Armenland“ zur Wachstumsregion wurde.

Der Blick schweift bis zum Horizont, wo der Neusiedlersee scheinbar den Himmel berührt. Kinder lachen im Wasser, während der warme Wind über den Schilfgürtel der pannonischen Steppe streift, was die Seele beruhigt. Für viele Menschen ist das Burgenland der Inbegriff der Entspannung. Seit 103 Jahren gehört es zu Österreich. Alles, was das moderne Leben hier ausmacht, wurde in diesen 100 Jahren geschaffen.

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Nicht immer waren die Zustände derart harmonisch. Konflikte gab es schon bei der Grenzziehung. Das 4.000 Quadratkilometer große Gebiet, das heute eine 379,4 Kilometer lange Grenze von seinen Nachbarn Slowenien, Ungarn und Slowakei trennt, war Teil der Konkursmasse nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie. Damals hieß die Region Deutsch-Westungarn, weil mehrheitlich Deutsch gesprochen wurde.

Historisch hätte sich als Hauptstadt des neuen Bundeslandes, das Österreich im Jahr 1921 zugeteilt wurde, Sopron, damals Ödenburg, angeboten. In einer Abstimmung sprachen sich die Ödenburger:innen aber für den Verbleib bei Ungarn aus. Und obwohl sich herausstellte, dass die Stimmenverhältnisse gefälscht worden waren, blieb man dabei. Das Burgenland „wurde um seine natürlich gewachsene Hauptstadt betrogen“, schreibt Jakob Michael Perschy, Leiter des Referats Landesbibliothek, in einem Band zum 100. Gründungsjubiläum, „Reisen durch Zeit und Land“.

Über den Wahlbetrug war man so indigniert, dass Eisenstadt bis 1981 offiziell bloß der „Sitz der Landesregierung“ war. Vielleicht blieb sie deswegen die einzige Landeshauptstadt ohne Landestheater. Eine überproportional hohe Anzahl an Opern-, Schauspiel-, Kunst- und Popmusikfestivals zeigt, wieviel sich mit Eigeninitiative erreichen lässt. Auf Eigeninitiative war die Grenzregion nämlich angewiesen. Bergbau und Industrie fehlten und eine traditionelle Praxis der Erbteilung hatte dazu geführt, dass landwirtschaftliche Betriebe mit jeder Generation schrumpften, sprich die Bauern mit jedem Kind ärmer wurden. „Allein 1922 und 1923 verließen 12.029 Burgenländer:innen ihre Heimat, um in den USA oder Kanada ihr Glück zu versuchen“, sagt der Historiker Walter Dujmovits, Emeritierter Präsident der Burgenländischen Gemeinschaft, zur WZ.

Selbstbewusstsein stieg mit der Wirtschaftsleistung

Erst das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre lockte Tourist:innen an den Neusiedlersee. Der Fall des „Eisernen Vorhangs“ 1989 und das Ende der Sowjetunion, gefolgt von Österreichs Beitritt zur EU 1995 und der EU-Osterweiterung, rückten die Region vom Außenrand der freien Welt ins Herz Europas. Das östlichste Bundesland wurde „vom Armenland zur Vorzeigeregion, konnte seinen Minderwertigkeitskomplex abbauen und wurde selbstbewusst“, erklärt Dujmovits.

Von 1995 bis 2020 flossen rund 2,4 Milliarden Euro an Förderungen, davon fast 1,3 Milliarden aus dem Topf für die ärmsten „Ziel-1-Regionen“ des EU-Haushalts, in das Burgenland. Ortszentren wurden renoviert und modernisiert. Es wurden Straßen errichtet und Wohnhäuser, Einkaufs-, Logistik- und Dienstleistungszentren gebaut. Die Wirtschaftsleistung wuchs am schnellsten von allen Gebieten Österreichs, das sich auch als Ziel für Genussreisende etablierte. „Auch der Weinbau stellte von Massenware zu Qualitätsweinen um, was dazu beitrug, dass die Region an Bedeutung gewann“, sagt der Winzer Gerhard Kracher aus dem Seewinkel zur WZ. Heute ist das Burgenland ein Anziehungspunkt für Tourismus mit einer lebhaften Gastronomie-, Genuss-, Hotellerie- und Kulturszene und eine von nur vier Regionen der Welt, wo hochwertiger Süßwein produziert werden kann.

Jährlich 300 Sonnentage

Bei jährlich 300 Sonnentagen stellt man sich die brennende Zukunftsfrage der Erderwärmung. Bis 2030 will das Burgenland Energie ausschließlich aus erneuerbaren Quellen gewinnen. Schon heute gibt es insbesondere im flachen Norden kaum Felder, auf denen sich keine Windräder drehen. Solarpaneele auf Dächern sind normal.

Dem gegenüber steckt eine fehlende öffentliche Verkehrsinfrastruktur. Gemessen an der Einwohner:innenzahl hat das Burgenland die höchste Dichte an Automobilen. Den Grund verrät ein Blick auf den ÖBB-Fahrplan: Die Strecke von Kittsee im Norden nach Minihof-Liebau im Süden mit Bus und Bahn dauert 7:35 Stunden, oder nur sieben Minuten weniger als der Frühzug von Wien nach Venedig.

Politisch ist der ehemalige Rand rotes Kernland geworden. Die SPÖ stellt seit 60 Jahren den Landeshauptmann. Die Sozialdemokratie hat die Landesregierung aber nicht daran gehindert, für Repräsentationszwecke und Feiern ihr Lager im feudalen Schloss Esterhazy aufzuschlagen. Kein Bundesland ist übrigens so sehr von einem Adelsgeschlecht geprägt wie das Burgenland von den Esterhazys. Den familieneigenen Unternehmen gehören unter anderem 22.400 Hektar vom Leithagebirge bis in die Bucklige Welt, etwas mehr ein Drittel der 315 Quadratkilometer Fläche des Neusiedlersees, der Neufelder See, die Burg Forchtenstein und der Römersteinbruch St. Margarethen.

Statt Streit ,,pannonisches Achselzucken”

Auch die Landesregierung pflegt einen zentralistischen Umgang mit Anlagen, die mit einer Kombination von EU-Geldern und heimischen Förderungen geschaffen wurden. Unter anderem zehn Thermen-, Wellness- und Tourismusbetriebe, elf Immobiliengesellschaften, 20 Wirtschaftsbetriebe und 30 Energieunternehmen sind in der landeseigenen Burgenland-Holding vereint, weswegen Einheimische nicht selten von einer ,,Burgenlandisierung” von Besitz sprechen.

Sieht man von Wien ab, ist das jüngste Bundesland der multikulturellste und vielsprachigste Landstrich dieses Landes. Deutsche, Kroat:innen, Ungar:innen, Roma und Sinti, die seit Jahrhunderten hier leben, „siedelten gewissermaßen ineinander ohne viel Aufhebens“, schreibt Autor und Journalist Wolfgang Weisgram (1957–2024) im erwähnten Jubelband. Nicht immer ist die Eintracht Ausdruck von echter Gleichberechtigung – etwa fehlen heute noch Unterrichtsmittel in der Sprache der Roma. Und die kroatische Volksgruppe, die einen Anteil von 5.9 Prozent an der Bevölkerung hat, beklagt einen Mangel an kroatischsprachigen Kindergärten und Mittelschulen.

Ortskundige attestieren den Burgenländer:innen mitunter eine tief verwurzelte Obrigkeitsgläubigkeit. Im Laufe der veränderlichen Geschichte dieser Region habe die Bevölkerung gelernt, sich zu unterwerfen. Vielleicht gaben auch deswegen zweisprachige Ortstafeln hier keinen Anlass für Streit. Statt eines Ortstafelsturms wie in Kärnten „gab es bloß ein Achselzucken auf pannonische Art“, wie Weisgram es nennt.

Wo in den 1960er Jahren mangels Jobangeboten 40 Prozent der Bevölkerung pendelte, sind die Einkommen heute nach Vorarlberg und Niederösterreich die dritthöchsten der Republik. „Wenn jemand heute noch nach Amerika geht, dann um zu studieren“, sagt Dujmovits. Lange gab es in Österreichs am dünnsten besiedelter Region nur wenige Gymnasien. Heute machen 60 Prozent der Mädchen und 40 Prozent der Burschen die Matura – das ist Österreichs Spitze.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

  • Walter Dujmovits, geboren am 6. Juli 1932 in Eisenhüttl, ist ein burgenländischer Lehrer und Historiker. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde er als Präsident der Burgenländischen Gemeinschaft, deren Mitbegründer er 1956 war. Verdienste erwarb sich Dujmovits bei der Erforschung der Geschichte der burgenländischen Auswanderer.

  • Gerhard Kracher, geboren 1981, leitet seit 2007 den Weinlaubenhof Kracher in Illmitz, den sein Großvater aufgebaut und sein Vater Alois weltberühmt gemacht hat.

Daten und Fakten

  • Nationalratswahl 2019: ÖVP: 38,3 % – SPÖ: 29,4 % – FPÖ: 17,4 % – Neos: 4,9 % – Jetzt: 1,3% – Grüne: 8,1 %

  • Das Burgenland ist das drittkleinste Bundesland mit der Fläche von 4.000 Quadratkilometern (nur Wien und Vorarlberg sind kleiner).

  • Das Burgenland hat 301.600 gemeldete Hauptwohnsitze und ist damit das am dünnsten besiedelte Bundesland Österreichs.

  • WKO Wirtschaftsbericht: Burgenlands Arbeitslosenquote entsprach 2023 dem österreichischen Durchschnitt von 6,4 Prozent, womit es bundesweit nur an fünfter Stelle lag.

  • Im Burgenland gibt es 18.003 Unternehmen. In ganz Österreich sind es 532.082 Unternehmen.

  • Von 2015 bis 2020 gab es im Burgenland die Rot-blaue Koalition, Hans Peter Doskozil war davon ab 2017 Teil der Regierung, zunächst als Landesrat, ab Anfang 2019 als Landeshauptmann. Während die Bundes-SPÖ weiter eine Zusammenarbeit mit einer FPÖ unter Herbert Kickl ausschließt, hält sich Landeshauptmann Hans Peter Doskozil die Möglichkeit einer Koalition im Burgenland offen.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien

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