Sexszenen bergen für Schauspieler immer ein Risiko. Dabei kam es früher mitunter zu fatalen Situationen. Das will die Intimitätskoordinatorin Julia Effertz ändern.
Für Schauspieler können Rollen zur Herausforderung werden. Vor allem dann, wenn intime Szenen gedreht werden, sich geküsst oder eine sexuelle Handlung inszeniert wird. Selten kommen sich Kollegen im Arbeitskontext so nah wie bei einer Sexszene. Die Gefahr, dass dabei Grenzen überschritten werden, ist groß. Wie kann die Intimsphäre geschützt werden und zugleich eine authentische Darstellung gelingen?
Julia Effertz ist als Intimitätskoordinatorin bei Dreharbeiten dafür zuständig, dass intime Szenen für alle Beteiligten sicher geplant und umgesetzt werden. Im Gespräch mit derwelt hat die 44-Jährige über ihre Arbeit gesprochen: wie wichtig die Position für die Branche ist, wie folgenschwer Sexszenen sein können und was sie vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk fordert.
derwelt: Frau Effertz, was ist für Sie Intimität?
Julia Effertz: Es gibt eine sehr schöne Lautmalerei aus dem Englischen: „Into me see“, in mich hineinsehen. Das klingt so ähnlich wie das englische Wort für Intimität: intimacy. Intimität ist die Verbindung zweier Menschen, die einander erlauben, in sich hineinzusehen, sich also ihrem Gegenüber zu öffnen und in all ihren Facetten zu zeigen, auch in ihrer Hässlichkeit. Ein echtes „Sehen“, das Akzeptanz beinhaltet. Intimität kann emotional, gedanklich oder auch körperlich sein.
Was heißt das dann konkret für Ihre Arbeit als Intimitätskoordinatorin?
Die Darstellung von körperlicher Intimität macht verletzlich. Meine Arbeit besteht daher darin, die persönlichen Grenzen von Schauspielenden in intimen Szenen zu schützen. Dafür ist es notwendig, vorab ein klares Bild der Szene zu haben. Ich muss wissen, was die Regie erzählen möchte und wie dies umgesetzt werden soll. Diese künstlerische Vision bringe ich in Einklang mit den Grenzen der Schauspielenden. Intime Szenen sind Risikoszenen, bei denen eine emotionale und psychosomatische Belastung entstehen kann. Ähnlich wie Stuntszenen brauchen intime Szenen eine Gefährdungsbeurteilung.
Julia Effertz ist Schauspielerin und Autorin. 2018 lernte sie bei den Filmfestspielen in Cannes Ita O’Brian kennen, Pionierin im Feld der Intimitätskoordination aus England. Julia Effertz ließ sich ein Jahr später unter anderem von ihr zur Intimitätskoordinatorin ausbilden und half dabei, die Position in Deutschland zu etablieren. Über ihre Arbeit und das Thema Intimität hat sie ein Buch geschrieben. „Mut zur Verletzlichkeit“ ist 2024 im EMF-Verlag erschienen.
Wir haben in Deutschland ein Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitgeber verpflichtet, körperliche und psychische Stressoren am Arbeitsplatz zu erfassen und Maßnahmen zu treffen, damit Mitarbeitende sicher sind. Bei Stuntszenen kann sich ein Schauspieler Knochen brechen. Bei intimen Szenen steckt die Gefährdung im psychosomatischen Bereich: Berührungen am Körper tangieren die persönliche Intimsphäre, hier können Grenzen überschritten und damit das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Wahrung der körperlichen Autonomie verletzt werden. Schauspiel ist ein Handwerk, mit dem wir emotional und psychisch tief in Gefühle und Gedanken einer Figur eintauchen. Das menschliche Gehirn empfindet die Darstellung von Intimität mitunter als sehr real. Das kann Schauspielende verwirren oder auch triggern.
Was meinen Sie mit triggern?
Trigger bedeutet „Auslöser“. In der Psychologie meint man damit einen Schlüsselreiz, der einen alten Gefühlszustand reaktiviert, den man nicht als Erinnerung, sondern als aktuell erlebt. Da Intimität ein Bereich ist, in dem viele Menschen private Traumatisierung erfahren haben, und das menschliche Gehirn die Schauspielszene als sehr real erleben kann, ist die Darstellung von Intimität ein Arbeitsbereich, in dem derartige private Erinnerungen reaktiviert werden können.
Haben Sie erlebt, dass Schauspieler Probleme hatten, nach den Dreharbeiten aus so einer Szene herauszufinden?
Schauspielende kommen im Normalfall sehr gut in die Rolle hinein und auch wieder heraus. Jeder von uns hat da seine persönlichen Methoden, um die Arbeit nach dem Dreh am Set zu lassen. Bei Szenen, in denen es um sexualisierte Gewalt geht, ist es schwieriger. Die können durchaus psychosomatisch nachwirken. Gerade wenn sie nicht professionell gearbeitet und abgesichert wurden. Wichtig ist in meiner Arbeit, dass wir klar zwischen Privatmensch und Rolle trennen. Um eine Figur tief und glaubwürdig verkörpern zu können, muss ich mich in sie hineinversenken. Aber darin enthalten ist der Rückkopplungseffekt meiner Rolle auf mich. Das muss ich mit gutem Handwerk steuern. Und in Gefährdungsszenen mit Gewalt oder Intimität muss eine Stunt- oder Intimitätskoordination mich zusätzlich absichern. Wenn ich derartige Szenen als Intimitätskoordinatorin betreue, ist Nachsorge ein wichtiges Thema.
Gibt es nur für die Schauspielenden ein Risiko?
Nein, das gilt für das gesamte Drehteam. Auch die Crew kann durch bestimmte Szenen belastet werden. Wenn intime Szenen auf dem Drehplan stehen, dann wird das kommuniziert, ebenso die Regeln für das „geschlossene Set“, in dem wir solche Szenen drehen. Das bedeutet, dass nur eine kleine Crew anwesend ist und die Monitore ausgeschaltet werden.