Der „Zauberberg“ von Thomas Mann feiert 100-jähriges Jubiläum. Was das mit Heinz Strunk zu tun hat, erzählt der Autor im derwelt-Interview.
Heinz Strunk ist einer dieser Schriftsteller, die immer schon am nächsten Projekt arbeiten. So ist es auch mit seinem neuesten Roman „Zauberberg 2“ gewesen. Der Gedanke, sich Thomas Mann einmal intensiv zu widmen, habe schon lange in seinem Kopf herumgespukt, beteuert Strunk im Interview mit derwelt. Wann, wenn nicht zum 100-jährigen „Zauberberg“-Jubiläum, wäre ein geeigneter Zeitpunkt.
Thomas Mann, einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, hat sich für seinen „Zauberberg“ nach Davos in ein Sanatorium begeben, Heinz Strunk 100 Jahre später in eine psychiatrische Klinik. Strunks Ergebnis: Ein Roman, der die Geschichte des 36-jährigen Jonas Heidbrink erzählt. Es ist eine Geschichte über Angstzustände und Depression, über Therapie, Entzug und über das Menschsein. Es ist größtenteils die Geschichte von Heinz Strunk.
derwelt: Herr Strunk, können Sie sich eigentlich langweilen?
Heinz Strunk: Nein, das fällt mir schwer. Ich habe gestern mit Tim Mälzer darüber gesprochen, dass Leuten wie uns der Müßiggang viel schwerer fällt als das permanent hochtourige, rastlose Arbeiten.
Jeder Mensch hat etwa 16 Stunden Wachzeit zur Verfügung, und die meisten haben das Bedürfnis, die sinnvoll zu füllen. Aber die ersten 20 Jahre meiner Vita waren eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit und reflexhaft denke ich deshalb noch immer: Ich muss höher, schneller, weiter.
Heinz Strunk wurde als Mathias Halfpape 1962 in Bevensen geboren. Er ist Schriftsteller, Musiker und Schauspieler. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht, darunter Der goldene Handschuh, der Monate auf der Bestsellerliste stand und durch Fatih Akin verfilmt wurde. Strunk wirkte in verschiedenen Serien-Produktionen, etwa bei „Die Discounter“ oder „Last Exit Schinkenstraße“. Sein „Zauberberg 2“ erscheint am 28. November.
Heidbrink, die Hauptfigur in Ihrem neuen Roman „Zauberberg 2“ scheint der Gegenentwurf oder die Folge eines „höher, schneller, weiter“ zu sein. Er kommt nur schwer aus dem Bett, hat vor allem Angst. Wer ist dieser Mann?
Viele Gedanken, die Heidbrink äußert, sind meine eigenen. Die Tavor-Episode habe ich eins zu eins so erlebt. (Anmerkung der Redaktion: Tavor ist ein Medikament, das zur Behandlung von psychischen Erkrankungen eingesetzt werden kann, etwa bei Depressionen oder Angstzuständen.) Es war mir ein großes Anliegen, in schöne Sätze zu fassen, was wirklich existenzielle, schreckliche, depressive Angst bedeutet.
Die Entzugserscheinungen der Antidepressiva, die sie im Buch schildern, haben Sie so erlebt?
Ja, die gesamte Episode ist mir während des Schreibprozesses passiert.
Gab es für Ihre Angst einen Auslöser?
Gab es nicht. Auslöser für Ängste können unglaublich unterschiedlich sein. Aber dass jemand eine akute Depression oder diese Art von Angstzuständen bekommt, wie ich sie schildere, etwa aus der Sorge vor dem Übergreifen des Ukraine-Krieges auf Deutschland heraus, das halte ich für eher unwahrscheinlich.
Warum haben Sie dieses Thema für Ihren Roman gewählt?
Aus dem einfachen Grund, weil ich mich damit auskenne. Zudem gibt es keine Lungenkliniken mehr, wie die im Zauberberg. Die ewigen Liegekuren hielt ich bei Thomas Mann für witzig, aber das Thema seelische Erkrankung ist interessanter.
Wie viel kann Therapie heilen?
Das weiß ich nicht. Ich war gestern mit meinem Psychiater essen und wir sprachen auch über Psychoanalyse. Er bezeichnete sie als aussterbendes Gewerbe. Ich beurteile Therapien – aber auch Ideologien oder Religionen – danach, was sie für den Menschen Gutes bewirken. Ich selbst habe ein paar Therapien durchlaufen, die mir durchaus geholfen haben. Aber dass sie komplett die Grundproblematik beseitigen, das ist leider Illusion.
Wenn Heidbrink aus Ihren eigenen Erfahrungen entsprungen ist, warum ist er dann 36 Jahre alt, also deutlich jünger als Sie?
Ich wollte das Klischee eines alten weißen Mannes, der mit dem Leben hadert, nicht bedienen. Deswegen habe ich ihn jünger gemacht.
Thomas Mann hat eine deftige Sprache. Es gibt im „Zauberberg 2“ ein Kapitel, in der Sie das Ursprungswerk zitieren. Dort wird eine „Zwergin“ beschrieben und die „Zitzen“ einer Frau. Beschreiben Sie Frauen anders als Männer?
Ja, tue ich. Ich entspreche zu 0,0 Prozent dem Profil des Alten Weißen Mannes und darum bemühe ich mich auch sehr. Bei all dem, was man unter dem Oberbegriff Bodyshaming fasst, habe ich es immer schon so gemacht: wenn es richtig derbe oder so richtig eklig wird, dann betrifft es immer Männer. Bei Frauen deute ich nur an. Ich versuche, die Dinge aufzugreifen, die ich an aktuellen Bewegungen richtig finde, ohne in vorauseilenden Gehorsam zu verfallen. Das ist nicht meine Art.